Gedanken zur Vortragskatastrophe in Dortmund: Ersetzt Social Media den klassischen Vertrieb?

Gestern war ich sehr enttäuscht von einer der wenigen Social-Media-Veranstaltungen in Dortmund. Nicht nur, dass es eine extreme Werbeveranstaltung war, nein vor allem der eigentliche Vortrag zu Social Media versus klassischer Vertrieb war eine Katastrophe. Natürlich weiß man nie vorher 100% sicher, was und wie ein Vortragender erzählen wird. Dennoch hätte man grob absprechen können, was im Vortrag vorkommt und wie es zur Zielgruppe der Veranstaltung passen könnte. Leider ist mir auch nach meinem 4. oder 5. Besuch des Veranstaltungsformates nicht klar, welche Zielgruppe überhaupt angesprochen werden soll.

Eine Frage der Zielgruppe?

Da tummeln sich Social-Media-Interessierte, Social-Media-Profis, Unternehmensvertreter und Agenturmitarbeiter – es ist also eine breite Gaußverteilung an Menschen mit unterschiedlichstem Wissen anwesend. Das muss nicht zwingend schlecht sein. Es täte der Veranstaltung aber nicht schlecht zu Gesicht stehen, wenn sich die Veranstalter über die Zielgruppe noch mal Gedanken machen könnten. Nach dem völlig an den Erwartungen der Anwesenden vorbei gehaltenen Vortrag wurde sich entschuldigt, dass Vertriebler ein anderer Schlag von Menschen seien als die Social-Media-affinen Teilnehmer.

Dennoch wurden im Vorfeld bei den Newsspots aus der Social Media Welt Videonetzwerke und -plattformen vorgestellt, als hätten die Anwesenden noch nie von YouTube und Instagram gehört. Das passt alles nicht zusammen und hinterlässt große Fragezeichen in mir. Ein bisschen mehr Zeit für die Recherche manch einer Folie wäre auch wünschenswert gewesen, allein schon aus Respekt vor den Zuhörern, die Zeit und Geld für den Abend opferten. Aber wahrscheinlich bin ich einfach pingelig. Mein Social-Media-Wissen sollte aber auch nicht unbedingt die Referenz für die Anwesenden sein. Dennoch kann man kurz googeln, ob die erwähnten Plattformen, Netzwerke und Apps noch existieren bzw. überhaupt Videoplattformen sind/waren (siehe GetGlue).

Verwunderlich war für mich auch, wie man Social-Media-Infografiken aus dem amerikanischen Markt heran ziehen kann und diese Grafik erklärt, als könne man diese Zahlen 1:1 auf Deutschland übertragen. Da nutzt es nicht zu erwähnen, dass es eine US-Studie ist, wenn man im nächsten Moment erklärt, dass Twitter eine 80%-ige Akzeptanz in Unternehmen hat. Die Zahlen für Twitter sollten immer angezweifelt und den weniger Social-Media-affinen Anwesenden auch erklärt werden. Twitter ist in Deutschland unglaublich klein, ein Nischennetzwerk im Vergleich zu der Verbreitung in den Staaten (In 2012 waren es 2,4 Mio. monatlich aktive Nutzer in Deutschland, in den USA 22,9 Mio. von insgesamt 151 Mio. monatlich aktiven Nutzern. In Q1/2015 hatte Twitter rund 302 Mio. monatlich aktive Nutzer weltweit.). Diese Zahlen und mit ein bisschen Kenntnis der deutschen Mentalität – da kann nicht von einer solchen Akzeptanz in deutschen Unternehmen ausgegangen werden!

Eine Frage des Konzepts?

Generell verstehe ich das Konzept auch nicht, vor dem Beginn der Veranstaltung um Punkt 18 Uhr zu essen. In Hamburg hätte ich da niemanden auf der Matte meines Events stehen gehabt, weil z.B. in Agenturen 9-18 Uhr oder 9:30-18:30 Uhr feste Arbeitszeiten an der Tagesordnung sind. Wiederum stellt sich mir hier also die Frage nach der Zielgruppe. Außerdem ist ein Essen fürs Netzwerken imho nicht gut geeignet. Man setzt sich erfahrungsgemäß doch immer zu den Menschen, die man kennt und kann durch das Essen (wenn man sich an die Etikette hält) nicht viel sagen. Das Essen ist übrigens immer gut und bietet auch eine vegetarische/vegane Variante. Dafür Danke und großes Lob an den Caterer und Veranstalter.

Nach dem 45 min. Newsspot und dem einstündigen Vortrag (inkl. Diskussion) aber noch einen Werbeblock eines Sponsor inkl. Verlosung sowie Sessiontische mit Workshops über den Veranstaltungsraum verteilt anzubieten – ist in meinen Augen einfach zu viel. Netzwerken oder aktiver Austausch zu dem Vortrag bei einem Drink gemeinsam mit neuen Kontakten ist kaum möglich. Vor allem nach dem gestrigen Vortrag wäre ein Drink nötig gewesen. 😉

Der Stein des Anstosses – der Vortrag

Der Vortrag eines professionellen Vertriebscoach schien die Erwartungen der Anwesenden wie auch die meinen nicht zu erfüllen. Nach 30-40 Minuten fühlte sich das Publikum genötigt nachzufragen, wann es denn endlich um Social Media im Vortrag gehen wird. Selbst diese Frage half nicht, den Vortrag aus der WordPress-für-Anfänger-SEO-name-dropping-Ecke in Richtung Social Media zu schieben. 47 Zugriffe auf die neue WordPress-Website wurden als Highlight gefeiert, Videos als das große SEO-Geheimnis, Facebook läuft besser mit Hund (aber das war schon mit dem Einladungstext klar) und mit Twitter wurde man nicht warm. Diese Erkenntnisse machten aber nur die letzten rund 5 min aus – und mit Twitter nicht klar zu kommen, mache ich niemanden zum Vorwurf. Nicht jedem liegt jedes Netzwerk. Dafür überlegt man sich aber am Anfang, was man will, wen man erreichen will und vor allem wie und wo. Das nennt sich Social-Media-Strategie und sollte die Grundlage eines jeden kostspieligen Versuchs sein.

Dafür kennen wir jetzt alle einen SEO-Menschen in Köln, der eine Veranstaltung im Jahr zum Überleben organisiert, der gerne Zug fährt und einen Webseitenentwickler, der für eine kalendarische Ansicht von Terminen Tausende von Euros verlangt und bei der Erstellung des WordPressdesigns (Preis nach Einigung 2.600 Euro) schlecht bis gar nicht kommuniziert. Die Visitenkarte des Vortragenden gab es am Sitzplatz gratis dazu. Darüber hinaus bekamen wir die Information, dass Google nicht merkt, wenn man sich verstellt. Auch stellen drei eigentlich nicht existente Standorte auf Google Maps wettbewerbsrechtlich für den Vortragenden überhaupt kein Problem. Dinge, die wir eigentlich nicht wissen wollten…

Fazit

Für mich war es vorerst die letzte Veranstaltung dieser Reihe. Im Gegenzug überlege ich mir, welches neue Format ich hier in Dortmund etablieren kann, um eine Veranstaltung zur Wissensvermittlung im Bereich Social Media/Digitale Kommunikation/mobile Kommunikation auf die Beine zu stellen. Hier ist definitiv Luft nach oben und es gibt genügend wissbegierige Menschen.

Für den losen Austausch bzw. Netzwerken zwischen Online-affinen Menschen habe ich mit drei anderen onlineverrückten Mädels schon vor einem Jahr das OnlineGeDOens ins Leben gerufen, ein Stammtisch für Dortmund und Umgebung. Der nächste Termin ist der 09.07.2015. Wir bitten um eine verbindliche Zusage auf Facebook oder via Twitter.

Disclaimer

Mir ist dieser Abend lange durch den Kopf gegangen. Es beschäftigte mich die ganze Nacht. All die Gedanken, die darum kreisten, liessen mich schlecht und wenig schlafen. Daher dieser Blogpost, dennoch möchte ich hier kein Victim Shaming starten. Der Vortragende allein hat genauso wenig Schuld, wie die Veranstalter alleine – daher keine Namen von Personen, der Veranstaltung und des Ortes.

Die Erwartungshaltung eines Teils des Publikums war halt definitiv eine andere.

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